Im Sommer 2014 wollte ich eine Frage klären:
Kommt man bequem mit nur einem Gang durch Deutschland?
Um dies zu „erfahren“, setzte ich mich auf mein altes „Singlespeed“-Rixe und fuhr 800km vom hohen Norden bis nach Fürth. Soviel vorweg: eine Gangschaltung vermisste ich nicht und zugleich war es meine entspannteste Fahrradtour.
Streckenplanung
Mit nur einem Gang sollte der Streckenverlauf natürlich wenig Steigungen aufweisen und so ist eine gute Routenplanung Voraussetzung – in diesem Fall immer entlang von Flusstälern. Die deutschen Hauptfahrradrouten (D-Routen) und lokal ausgezeichnete Fahrradrouten dienen zur Orientierung und sollten halbwegs gute Fahrbahnbeschaffenheit bieten. Zur genauen Routenplanung nutze ich den Online-Service GPsies. Mehr dazu demnächst in einem eigenen Beitrag. Die Route führt u. a. entlang dieser offiziellen Wege:
- Weserradweg D9
- Waldhessen Radwanderweg R15
- Werratal-Radweg
- Werra-Obermain-Radweg WOM
- Ostsee–Oberbayern D11
Um flexibel zu bleiben, buchte ich die Unterkünfte spontan und fuhr soweit ich Lust hatte. Bei einer Singlespeed-Tour ist die Reduzierung des Gepäcks auf das Nötigste sinnvoll und so musste die Campingausrüstung zu Hause bleiben.
Fahrtenbuch
1. Tag Varel – Bremen > 72km
Zum Aufwärmen habe ich den ersten Tag langsam angehen lassen. Die Strecke Varel – Bremen bietet viele Verlaufsmöglichkeiten, auch abseits der Hauptverkehrsstraßen. Bei schönstem Wetter ist der Weg durch die Wesermarsch ein Genuss. Hinter Elsfleth geht es über die Hunte-Eisenbahnbrücke und wenig später bei der Juliusplate mit der Fähre über die Weser. In der „Bremer Schweiz“ sind erste Steigungen zu überwinden, doch die Fahrt entlang des Wassers lenkt von den kleinen Anstregungen ab. Weiter geht es durch Gröpelingen, Walle und Findorff und zu guter Letzt durch den schönen Bremer Bürgerpark zum ersten Tagesziel.
2. Tag Bremen – Rusbend (Bückeburg) > 140km
Bei diesigem Wetter geht es raus aus Bremen – nun immer entlang des Weserradweges D9. Überraschend sind die zum Teil schlechten Zustände der Wege und für eine Hauptverkehrsroute nicht zeitgemäßen hohen Bordsteinkanten. Abstecher durch die verschlafenen Orte Achim, Verden und Nienburg lockern diesen ansonsten recht langweiligen Streckenabschnitt etwas auf. Schon am frühen Nachmittag bin ich am nächsten Unterkunftsort (Hotel Schäferhof) angekommen.
Für den nächsten Tag plane ich eine Abkürzung über den Weserberglandrücken und fahre so nicht durch Porta Westfalika. Außerdem möchte ich das komplette Weserbergland flussaufwärts in einem Gang an einem Tag schaffen. Mal sehen, wie weit ich komme …
3. Tag Bückeburg – Hannoversch Münden > 165km
Der Weserradweg durch das seichte Bergland zählt zu Deutschlands schönsten Fahrradrouten – und das zu Recht: Reizvolle, hügelige Landschaften, historische, märchenhafte Orte (Deutsche Märchenroute) und optimal ausgebaute Fahrradwege lassen das Radlerherz höher schlagen. Zwar fahre ich die Strecke zum 3. Mal, dennoch entdeckt man immer wieder Neues.
Das Wetter spielt mit und so erreiche ich gegen 19 Uhr entspannt mein Ziel: Hann. Münden, dort wo Werra und Fulda sich zur Weser vereinen. Im liebevoll, restaurierten Fachwerkhaus des Aegidienhofes verbringe ich die Nacht.
4. Tag Hann. Münden – Bad Salzungen > 144km
Nach einem reichhaltigen Frühstück in einer ehemaligen Kirche (dem Frühstückssaal des Aegidienhofes) geht es nun weiter entlang der Fulda, vorbei an Kassel bis nach Bebra. Dort verlasse ich die Fulda und biege Richtung Osten in den Thüringer Wald. Der Weg ist nun nicht mehr so flach, aber mühelos in einem Gang zu bewältigen. Am Nachmittag begleitet mich dann die Werra. Heute war es zeitweise sehr warm und durch die leichten Steigungen habe ich etwas weniger Strecke geschafft. Das Nachtquartier beziehe ich im Haus Hufeland im kleinen Kurort Bad Salzungen. Morgen kommt der anstrengenste Abschnitt durch den Thüringer Wald und mein nächste Ziel soll Bamberg sein.
5. Tag Bad Salzungen – Fürth > 278km
Die Strecke sollte abseits der Hauptstraßen führen, doch so fuhr ich fast 100km über Schottenwege mitten durch den Tühringer Wald. Doch die Strecke war schön und das Wetter wurde immer besser. Schon gegen Mittag war ich in Hildburghausen und gönnte mir eine Thüringer Bratwurst. Der Werra-Obermain Radweg führt mal durch schattige Wälder und über seichte, weitläufige Felder. Es sind hier nur wenige Radfahrer unterwegs und so kann ich die Natur in vollen Zügen genießen.
Das der Weg nun wieder in Westdeutschland verläuft, lässt sich sofort an schlechteren Straßenverhältnissen ausmachen. Bis Bamberg kann es also nicht mehr weit sein. Nun war in Süddeutschland Fronleichnam und scheinbar jede Unterkunft ausgebucht. Das Schöne am Singlespeedfahren ist ein gleichmäßiger Trittrhythmus und nach knapp 200km spielten die restlichen 80km bis nach Fürth nun auch keine Rolle mehr.
Petrus unterstützte mich mit leichtem Rückwind und so ging es bei untergehender Sonne auf dem Deich des Main-Donau-Kanals fast schnurstracks geradeaus Richtung Fürth. Im Dunkeln erreichte ich dann erschöpft das Ziel.
Fazit
Als Gelegenheitsradler fahre ich gewöhnlich Strecken bis 80km mit dem alten Rixe. Das an einem Tag auch 280km ohne Schmerzen und große Anstrengungen mit einem Singlespeed zu schaffen wären, hätte ich mir bis zu diesem Tag nicht zugetraut.
Doch neue und unbekannte Wege lassen die Zeit wie im Fluge vergehen und wenn dann noch das Wetter mitspielt, macht Radfahren einfach nur Spaß und man möchte immer weiter fahren.
In jedem Fall werde ich noch mehr Touren in „einem Gang“ fahren, weil es so herrlich entspannt und einem keine Entscheidungen abverlangt.
Weitere Infos
- Alle Bilder zur Tour
- Unterkünfte
- Hotel Schäferhof – Bückeburg
- Aegidienhof – Hann. Münden
- Haus Hufeland – Bad Salzungen
- GPS-Daten Streckenverlauf
Michael
Mit was für eine Übersetzung bist Du gefahren? Beste Grüße, Michael aus Frankfurt am Main
Philip Simon
Hallo Michael,
musste gerade nachschauen, welches Ritzel dran war. Die Übersetzung war 46:21, also 2,19:1. Ich fand diese optimal für ausreichend schnelles fahren und leichte Steigungen.
Grüße von der Küste
Philip
Michael
Vielen Dank, Philip! Habe eine umfunktionierte alle Stahlrahmen-Rennmaschine mit 42:16 – also typische Übersetzung für die Stadt. Müsste mal ausprobieren, ob ich längere Strecken damit aushalten kann.
Grüße aus dem Landesinneren (Rhein-Main-Raum) und weiterhin gute Fahrt,
Michael
Lutz
Ein absolut toller Reisebericht!!!
Ich danke dafür!!
Passt einfach herrlich zu Themen wie „Minimalismus und Entschleunigung“, die mir sehr am Herzen liegen.
Einfach schön, wie Du in Deinem wunderbaren Reisebericht aufzeigst, wie man nach wie vor mit einfachster (Fahrrad)-Technik wunderschöne Reisen unternehmen kann, was WIRKLICH wichtig ist, nämlich das Radeln ansich, und nicht wie einem in der heutigen Kommerz-orientierten Zeit immer wieder erzählt wird, daß man mit einem Fahrrad aus dem vorigen Jahr schon fast nicht mehr fahren kann, jedes Jahr am besten gleich das neueste Modell kaufen sollte, möglichst natürlich gleich ein E-bike, denn ohne Strom fährt man ja sowieso nicht mehr….
Gleiches gilt für die Fahrradklamotten.
Ich freue mich übrigens immer, wenn ich solche „Nobel-Radler“ in schweineteuren Funktionsklamotten auf Ihren ebenso hochpreisigen Carbonrennern mit meinem alten MTB einfach so überhole und hinter mir „stehen lasse“, hahahahahahaha.
Es kommt eben nicht auf feinste, modernste Klamotten und Edel-Zubehör drauf an, sondern auf ganz andere Dinge.
Das zeigt Dein Bericht und Deine Fotos auf wunderbare Art & Weise.
Dein Bericht ist für mich ganz großes Kino, spricht mir aus der Seele, ich Danke Dir nochmal ganz doll dafür!!!!!!!!!!!!!
Schön, daß es noch Leute gibt die auf dem Boden geblieben sind, wissen worauf es ankommt im Leben, und nicht absolut jeden Scheiß mitmachen, der einem vorgegaukelt wird.
Ganz liebe Grüße und Allzeit Gute Fahrt vom Lutz aus Süddeutschland.
Jens Steinberg
Hallo, ich habe Deinen Bericht auch mit Freude gelesen. Ja, ein ähnlich altes Rixe habe ich auch. Ich bin auch ein Freund von alten Single speed Rädern. Eine gute alte Sachs-Torpedo Nabe. Vielleicht noch mit Oil filler. Eine Radtour ist noch meine Vision. Meine längste Tour waren 200km mit einem alten Rennrad. Bisher fahre ich nur mit dem einem oder anderem Single Speed durch die die Stadt oder die Dörfer. Ich kann das gut nachvollziehen, wenn Du nicht aufhören möchtest weiterzuführen.